Gesundheit – Da geht noch mehr!

Projekte und Initiativen für Menschen mit Behinderungen

Wenn Menschen mit Behinderung krank werden, dann leiden sie oft länger unter Schmerzen als andere, weil Krankheiten nicht rechtzeitig erkannt und angemessen behandelt werden. Der Zugang zum Gesundheitssystem ist nicht barrierefrei – von den räumlichen Barrieren bis zu Hindernissen in der Kommunikation und fehlenden Fachkenntnissen aufseiten von Ärzt*innen und Therapeut*innen. Das Ev. Krankenhaus Alsterdorf als Teil der Ev. Stiftung Alsterdorf hat in den vergangenen Jahren viele Initiativen auf den Weg gebracht, um die Gesundheit und medizinische Versorgung von Menschen mit Behinderung nachhaltig zu verbessern. Seitdem ist viel geschehen! Hier ein Überblick über aktuelle Initiativen und Projekte.

Fit im Team – FiT: gemeinsam Gesundheit stärken!

Fit im Team ist bundesweit das erste Präventions-Angebot, das sich an Menschen mit Behinderung und ihre persönlichen Assistent*innen im Setting Tagesförderung richtet. Informationen in Leichter Sprache und gemeinsame praktische Übungen zu den Themen gesunde Ernährung, Bewegung und Entspannung sind Teil des Programms. Entwickelt wurde es im Rahmen des Projekts Gesundheit 25*.
Nach einem ersten, sehr erfolgreichen Durchgang in Bergedorf hat Fit im Team nun eine Förderzusage des GKV-Bündnisses (Krankenkassen) erhalten und kann das Projekt in Kooperation mit Leben mit Behinderung künftig in allen Hamburger Bezirken anbieten.

Sengelmann Institut für Medizin und Inklusion – SIMI

Bessere medizinische Versorgung und Prävention sind zwei wichtige Aspekte von Gesundheit bei
Menschen mit Behinderung – Fotos: Heike Günther

Vor fünf Jahren ist das SIMI als Medizinisches Zentrum für erwachsene Menschen mit Behinderung an den Start gegangen – bundesweit eines der ersten. Heute ist es fester Bestandteil der ambulanten Versorgung von Menschen mit Mehrfachbehinderungen. Expert*innen verschiedener Fachrichtungen arbeiten eng zusammen, um teilweise mit detektivischem Einsatz Krankheiten auf die Spur zu kommen und Therapieempfehlungen zu entwickeln, die bei niedergelassenen Ärzt*innen und Therapeut*innen umgesetzt werden. 2016 wurde das SIMI von der Freien und Hansestadt Hamburg als ein Leuchtturmprojekt der „Wegbereiter der Inklusion“ ausgezeichnet und erhielt den MSD-Gesundheitspreis Bereich Patientenorientierung.

Gesundheit 25*

Artikel 25* der UN-Behindertenrechtskonvention sichert Menschen mit Behinderung das Recht auf gleichwertige medizinische Versorgung wie allen anderen zu – und darüber hinaus auf spezielle Leistungen, die sie aufgrund ihrer Behinderung benötigen. Gesundheit 25* bezieht sich auf diesen Artikel. Das Projekt wurde als Ergänzung zum SIMI ins Leben gerufen, um auch die wohnortnahe gesundheitliche Versorgung zu verbessern. Es wird finanziell gefördert von der Aktion Mensch. Konkret sind daraus bereits verschiedene Ansätze entstanden, zum Beispiel die Workshops „Ganz Gesund“, bei denen es darum geht, Unsicherheiten und Angst vor einem Arztbesuch abzubauen. Die Hamburgische Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung (HAG) unterstützt das Angebot finanziell. Auch das Corona-Info-Telefon in Leichter Sprache und eine enge Kooperation des SIMI mit dem Autismus-Institut sind im Rahmen von Gesundheit 25* entstanden. Ein weiteres wichtiges Thema ist die Verbesserung der Versorgung an der Schnittstelle Eingliederungshilfe/Krankenhaus. Neben dem Ev. Krankenhaus Alsterdorf beteiligen sich an diesem Thema auch das Bethesda Krankenhaus Bergedorf und die Asklepios Klinik Barmbek.

›››› Behindert?
Menschen mit Handicap oder Lernschwierigkeiten, mit Unterstützungsbedarf, komplexer Mehrfach- oder geistiger Behinderung … – es ist nicht leicht, sprachlich den richtigen Ausdruck zu finden, der verständlich ist, eindeutig zuzuordnen (wer genau ist gemeint?) und nicht als diskriminierend erlebt wird. Was meinen Sie? Schreiben Sie uns:

Qualitätsvertrag zur Versorgung von Menschen mit Behinderung im Krankenhaus

Das Ev. Krankenhaus Alsterdorf und die AOK Rheinland/ Hamburg haben den bundesweit ersten Qualitätsvertrag zur Versorgung von Menschen mit schweren und Mehrfachbehinderungen im Krankenhaus abgeschlossen. Ziel ist es, die stationäre Versorgung dieser Patient*innengruppe zu verbessern. Konkret geht es z. B. um ein effektiveres Aufnahmemanagement und eine gute Versorgung nach einem Krankenhausaufenthalt. Sogenannte „Lots*innen für Menschen mit Unterstützungsbedarf“ stehen vor und während des Klinikaufenthaltes als Ansprechpartner*innen zur Verfügung. Neben der Kommunikation mit den Patient*innen (Leichte Sprache, Unterstützte Kommunikation) sollen auch Diagnostik und Therapie noch besser an die Bedürfnisse der Patientengruppe angepasst werden. Durch Schulungen werden die Mitarbeiter*innen hierauf gezielt vorbereitet. Bei den Patient*innen sollen auf diese Weise Verständnis, Teilhabe, Selbstbestimmung und informierte Entscheidungen ermöglicht werden.

Innovationsfondsprojekt MGMB

MGMB steht für „Medikamentenmanagement und Gesundheitsvorsorge bei Menschen mit geistiger Behinderung“ und wird vom Innovationsfonds im Gesundheitswesen gefördert. Häufig nehmen Menschen mit Behinderung eine ganze Reihe von Medikamenten ein. Im Rahmen des Projektes wird gemeinsam geschaut: Sind wirklich alle Medikamente notwendig? Entstehen vielleicht sogar unerwünschte Nebenoder Wechselwirkungen? Die Beratung verschafft Übersicht und ermöglicht eine bessere Versorgung. Zurzeit werden die Ergebnisse der Befragung wissenschaftlich ausgewertet. Ziel ist es, das Beratungsangebot als Teil der Regelversorgung zu verankern.

Ulrich Scheibel – Foto: Boris Rostami-Rabet

„Wir denken GESUNDHEIT vom Menschen aus“

Interview mit Ulrich Scheibel, Vorstand der Ev. Stiftung Alsterdorf

Sie setzen sich seit mehr als 10 Jahren für mehr Gesundheit bei Menschen mit Behinderung und chronischen Erkrankungen wie Epilepsie ein. In dieser Zeit sind viele Initiativen entstanden. Wie bewerten Sie den aktuellen Stand?

Wir haben als Ev. Stiftung Alsterdorf das Thema auf die öffentliche Agenda gesetzt – und sind mit unseren Projekten immer wieder Vorreiter. Das ist manchmal mühsam und auch anstrengend, aber wir haben immer mehr Mitstreiter*innen, zum Beispiel den Leben mit Behinderung Hamburg Elternverein e. V., die Patienten-Initiative Hamburg, das Autismus-Institut oder die Hamburgische Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung (HAG). Das ist ein Erfolg!

Wie gehen Sie bei der Entwicklung neuer Projekte vor?

Im Mittelpunkt steht die Frage: Was brauchen Menschen mit komplexen Behinderungen oder auch chronischen Erkrankungen wie einer Epilepsie, um möglichst selbstständig und selbstbestimmt leben zu können? Welche Rolle spielt Gesundheit und die medizinische Versorgung? Dabei sind wir auf verschiedenen Ebenen aktiv: Wir wollen die Gesundheit und die Selbstwirksamkeit jedes Einzelnen fördern, aber auch die medizinische Versorgung insgesamt verbessern, etwa mit Fortbildungen für Ärzt*innen. Und schließlich wollen wir auch Strukturen verändern – zum Beispiel mit der Entwicklung des Sengelmann Instituts für Medizin und Inklusion, einem ambulanten Medizinischen Zentrum für erwachsene Menschen mit Behinderung (MZEB). So etwas gab es vor 2015 nicht.

Die Projekte und Initiativen beschränken sich nicht auf das Gesundheitssystem, sondern arbeiten auch eng mit anderen Bereichen zusammen – warum ist Ihnen das wichtig?

Wir denken Gesundheit vom Menschen aus, nicht von der Institution wie einem Krankenhaus. Deshalb verknüpfen wir das Wissen aus unterschiedlichen Bereichen wie zum Beispiel Medizin und Arbeit beim Projekt JobMe für Menschen mit Epilepsie. Sie erleben häufig gesellschaftliche Ausgrenzung aufgrund der Erkrankung. Gezielte Integration in den Arbeitsmarkt baut diese Vorurteile nicht nur ab, sondern sorgt bei den Betroffenen auch für mehr gesellschaftliche Teilhabe – und letztlich mehr Lebensqualität. Das ist ein wichtiger Teil von Gesundheit!

Wie werden diese innovativen Ansätze finanziert?

Es gibt neben der Förderung durch Stiftungen, den Förderverein und Spendenaktionen verschiedene Formen der Anschubfinanzierung: Das Projekt MGMB wird zum Beispiel vom Innovationsfonds im Gesundheitssystem gefördert. Wenn die wissenschaftliche Begleitforschung zeigt, dass der Ansatz wirksam ist, wird über eine Regelfinanzierung entschieden. Unser Ziel ist es, zu zeigen, dass die Angebote sinnvoll sind und wirksam – und dann Formen der Regelfinanzierung zu finden, damit sie dauerhaft angeboten werden können. So entsteht nachhaltige Veränderung.


Sie möchten mehr über die Initiativen erfahren oder haben Fragen?
Auf der Webseite des Ev. Krankenhauses Alsterdorf finden Sie weitere Informationen zu den Projekten.

Ansprechpartnerinnen für Gesundheit 25*, MGMB und den Qualitätsvertrag – Birgit Pohler,
Fit im Team – Joana Roos-Bugiel,
SIMI – Dr. Janina Schwabl,