RAUS aus der Krise!

Stationsleitung Katy Ziegler mit einem Patienten am „Wunschbaum“

Die Patient*innen auf Station 10 des Ev. Krankenhauses Alsterdorf leiden unter Ängsten, Panik, schweren Depressionen. Es sind Menschen mit und ohne Assistenzbedarf. Sie alle stecken in einer Lebenskrise. Inklusive Psychiatrie? Das therapeutische Team des Fachbereichs Psychiatrie und Psychotherapie hat gute Erfahrungen damit gemacht.

Der Wunschbaum auf Station 10 reicht vom Boden bis zur Decke. Hier im Eichenhof, in der Psychiatrie, haben die Patient*innen ihre Wünsche an die Zweige gehängt: „Wenig Trauer im Herzen“, steht auf einem Zettel, „ich wünsche mir, ohne Angst und Panik zu leben“ oder „dass alles gut wird“ auf anderen. Ihre Wünsche stehen im Gegensatz dazu, wie es ihnen tatsächlich geht: Etwas hat sie so aus der Bahn geworfen, dass sie im Alltag zurzeit nicht allein klarkommen.

„Wenn unsere Grundbedürfnisse nach Sicherheit, Verlässlichkeit und emotionaler Zuwendung verletzt werden, dann geraten wir aus dem Gleichgewicht“, erklärt Prof. Sönke Arlt, Chefarzt des Fachbereichs Psychiatrie und Psychotherapie. „Das gilt für alle Menschen. Aber natürlich ist die Ausprägung individuell: Wir sind sehr unterschiedlich darin, welches Maß an Sicherheit, Verlässlichkeit und Zuwendung wir brauchen.“ Was hat die Patientinnen aus dem Gleichgewicht gebracht? Und was brauchen sie, um es wieder zu stabilisieren? Das sind zwei Kernfragen, um die sich die Arbeit des therapeutischen Teams auf der Station dreht. Dazu gehören Ärztinnen, Pflegekräfte, Ergo-und Physiotherapeutinnen, der Sozialdienst. Alle sind im Umgang und der Kommunikation mit Menschen mit Assistenzbedarf geschult. Drei bis vier Wochen sind die Patientinnen im Durchschnitt auf Station 10. Jeder erhält einen Wochenplan, entweder geschrieben oder mit Piktogrammen, wenn das Lesen schwierig ist. Einzel-und Gruppengespräche stehen darauf, Tanztherapie und vor allem Ergotherapie. Wieder ins Tun kommen, kreativ werden, ob beim Malen, Töpfern oder Handwerken – die großen Räume im Sockelgeschoss des Eichenhofs und die engagierten Mitarbeitenden laden dazu ein. Alle Bilder, die an den Wänden von Station 10 hängen, sind von den Patientinnen gemalt worden.

„In alles eintauchen“

Farah Rostami ist Oberärztin und leitet Station 10. Sie hat seit vielen Jahren Erfahrung in der Behandlung von Menschen mit und ohne Behinderung und einer psychischen Erkrankung: „Es geht darum, zu verstehen, sich ganz auf den Menschen einzulassen. Und nicht, dem Menschen zu sagen, wie er sich verändern muss – das ist häufig unser eigener versteckter Wunsch“, lacht sie. „Wir tauchen vielmehr in alles ein, was ist. Und in diesem Verständnis verändert sich der Mensch.“

 Farah Rostami leitet als Oberärztin Station 10
Farah Rostami leitet als Oberärztin Station 10

In alles eintauchen: Das bedeutet zum Beispiel bei Patientinnen mit Assistenzbedarf, auch Angehörige, persönliche Assistentinnen, Betreuerinnen einzubezie­hen, um ein genaues Bild vom Alltag der Patientinnen zu bekommen: Hat sich dort etwas verändert, gab es zum Beispiel einen Wechsel in der Hauptbezugsperson, läuft in der Werkstatt etwas anders? Wenn der Betroffene selbst sich nicht äußern kann, können seine Bezugspersonen oft wichtige Informationen beisteuern, um ein Verständnis zu entwickeln und gemeinsam zu überlegen, wie die Situation angepasst werden kann. „Wir schauen bei unseren Patient*innen mit Behinderung nicht nur auf das biologische Alter, sondern auf das Entwicklungsalter. Wenn jemand körperlich schon längst erwachsen ist, aber sein emotionales Entwicklungsalter eher kindlich ist, dann ist das ein wesentlicher Wegweiser für die Therapie – wie begegne ich diesem Menschen auf Augenhöhe, angemessen und empathisch, ohne ihn zu über- oder unterfordern? Welches Behandlungsmilieu, welche Therapie, braucht dieser Mensch, um aus seiner persönlichen Krise wieder herauszukommen?“, beschreibt Prof. Arlt.

„Diese Unmittelbarkeit ist berührend“

Auch bei Menschen ohne Behinderung ist häufig eine Veränderung der Auslöser für eine psychische Krise, zum Beispiel der Tod eines Angehörigen, eine Trennung oder ein Arbeitsplatzverlust. „Manchmal gibt es auf Station 10 Berührungsängste mit den Patientinnen, die eine Behinderung haben“, hat Katy Ziegler beobachtet. Sie leitet seit mehr als 20 Jahren die Station als Pflegekraft. „Wenn es den Patientinnen gelingt, sich auf die Begegnung einzulassen, dann profitieren beide Seiten davon.“ Menschen mit Behinderung seien häufig sehr direkt, ehrlich und erkennbar in ihren Gefühlen: „Diese Unmittelbarkeit ist berührend“, sagt sie. Kein Verstecken, Taktieren, „So-tun-als-ob“. Es wird auch viel gelacht auf Station 10. Auch Psychiaterin Farah Rostami schätzt den unverstellten Kontakt: „Ich bin menschlicher geworden. Die Leichtigkeit macht Mut. Ich komme mit Freude zur Arbeit.“

Wenn die Patient*innen den Eichenhof verlassen, sind sie wieder stabiler und können mit den Höhen und Tiefen, den Belastungen in ihrem Leben besser umgehen. Dann sind sie raus aus der akuten Krise.


››› Kontakt

Die Behandlung im Fachbereich Psychiatrie und Psychotherapie am Ev. Krankenhaus Alsterdorf steht allen Menschen mit und ohne Assistenzbedarf offen, die eine psychische Erkrankung haben. In der psychiatrisch-psychotherapeutischen Institutsambulanz werden ambulant Einzelgespräche geführt. Wenn Einzelgespräche nicht ausreichen oder im Anschluss an einen Klinikaufenthalt steht die Tagesklinik am Alsterdorfer Markt mit 20 Plätzen zur Verfügung. Die beiden psychiatrischen Krankenhausstationen sind im Gebäude „Eichenhof“ in ruhiger Lage auf dem Stiftungsgelände untergebracht. Zum Therapieangebot gehören u. a. Einzel- und Gruppengespräche, Ergotherapie, Musiktherapie, Alltagskompetenztraining, runde Tische, Gespräche mit dem Seelsorger.

Kontakt Ambulanz: Telefon: 040 5077 3857
Kontakt Tagesklinik: Telefon: 040 5077 3978
Kontakt stationäre Behandlung: Telefon: 040 5077 3417

Ein besonderes Angebot ist die Eltern-Kind-Klinik: In Kooperation mit dem Fachbereich Kinder- und Jugendpsychiatrie werden psychisch erkrankte Kinder und ihre ebenfalls erkrankten Mütter oder Väter gleichzeitig gemeinsam behandelt.
Der Fachbereich Psychiatrie arbeitet außerdem eng mit dem Sengelmann Institut für Medizin und Inklusion (SIMI) am Ev. Krankenhaus Alsterdorf zusammen. Es ist ein medizinisches Zentrum für erwachsene Menschen mit Behinderung und bietet interdisziplinäre Diagnostik und Therapie – eine wichtige Schnittstelle, wenn es z. B. darum geht, neben den psychischen auch körperliche Beschwerden abzuklären.

Weitere Informationen unter www.evangelisches-krankenhaus-alsterdorf.de