Lebendige Diakonie im Alltag – die Selbstverpflichtung der alsterdorf assistenz west

Foto dreier sich freuender Menschen

Keine geschlossenen Systeme, konsequente Auflösung von Heimsituationen – die alsterdorf assistenz west schaut gemeinsam mit der gesamten Evangelischen Stiftung Alsterdorf auf über 20 Jahre Selbstbestimmung, Empowerment und Partizipation von Menschen mit Behinderung. Doch das Verhältnis zwischen Assistentin und Klientin ist geprägt von ungleicher Machtverteilung. Daher braucht es ein Konzept, das im Alltag zum einen die Klient*innen stärkt, aber auch Raum für Reflexion für die Mitarbeitenden ermöglicht. Die Selbstverpflichtung zum Umgang mit Gewalt ist ein wichtiger Baustein und übersetzt die diakonische Haltung des Unternehmens in die Praxis.

Alle Menschen haben das Recht, Schutz vor Gewalt zu bekommen. Wir haben den Mut, Sorgen und Probleme anzusprechen. Wir achten aufeinander“– das sind die ersten Sätze der Selbstverpflichtung, die jede neue Mitarbeiterin und jeder neue Mitarbeiter der alsterdorf assistenz west zum Beginn ihrer/seiner Arbeitstätigkeit zu den Arbeitsunterlagen erhält.

Die bewusste und reflektierte Gestaltung des gemeinsamen Miteinanders

Zwei Schaufensterpuppen ohne Kopf im Freien neben einen Mann
Wichtig für ein gelingendes Miteinander: ein bewusster und reflektierter Umgang im Alltag. Die Selbstverpflichtung der alsterdorf assistenz west bietet dafür Raum – Fotos Babette Brandenburg

Klingt auf den ersten Blick selbstverständlich. Doch hält man sich vor Augen, dass im Verhältnis zwischen Assistentin und Klientin Macht unterschiedlich verteilt ist, wird schnell klar, dass Reflexion hier wichtig ist. „Wo unterschiedlich verteilte Macht ist, da besteht die Gefahr einer Schieflage – das zu erkennen und dem entgegenzuwirken ist eine Verpflichtung für uns“, so John Senf, Fachbereichsleiter Qualitätsmanagement der alsterdorf assistenz west.

Um dieser Problematik zu begegnen, wurde ein Präventionskonzept, bestehend aus mehreren Bausteinen, die sich gegenseitig ergänzen, entwickelt. Die Stärkung der Klientinnen spielt dabei eine wichtige Rolle. Doch die bewusste Gestaltung der gemeinsamen Zusammenarbeit, die Definition von zentralen Werten und einer Unternehmenskultur ist genauso wichtig. Nicht nur für das Verhältnis von Klientin und Assistenz, sondern auch für den Umgang der Kolleginnen miteinander – über alle Hierarchieebenen hinweg. Diese Punkte sind in der Selbstverpflichtung definiert. Entwickelt wurde sie im Austausch mit vielen Kolleginnen: Die Arbeitsgruppe, die den umfangreichen Prozess begleitete, bestand aus Mitarbeiterinnen, Assistenzteamleitungen, Kolleginnen aus dem Fachbereich Qualitätsmanagement sowie Vertreter*innen der Mitarbeitervertretung und der Geschäftsführung.

Bei der Selbstverpflichtung geht es darum, Vertrauen zu entwickeln und das Alltagshandeln thematisieren zu können. So ist in ihr zu lesen: „Ich wahre die Privatsphäre der Klient*innen. Ich handele transparent und nachvollziehbar.“ Durch diesen Wortlaut bietet die Selbstverpflichtung Raum, über Themen, die Gefahr laufen, im Alltag unterzugehen, nachzudenken und sie in Worte zu fassen. Sie soll die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aktivieren, für eine offene Arbeitsatmosphäre einzutreten. Was hat die Selbstverpflichtung der alsterdorf assistenz west mit dem diakonischen Profil zu tun? Im Zentrum der Selbstverpflichtung steht die Wertschätzung des Menschen sowie die individuelle Verantwortung. Würde, Nächstenliebe und Verantwortung sind auch die zentralen Werte im diakonischen Profil der Evangelischen Stiftung Alsterdorf. „Die Selbstverpflichtung der alsterdorf assistenz west ist die Quintessenz unseres diakonischen Profils – die Übersetzung in eine alltagstaugliche Form“, erklärt Tobias Fink, Assistenzteamleitung im Baakenhafen.

Seit 2019 ist die Selbstverpflichtung Bestandteil der Dienstordnung der alsterdorf assistenz west und liegt allen neuen Arbeitsverträgen bei. Regelmäßig wird sie bei den Dienstbesprechungen als Gesprächsgrundlage genutzt. Als prägnante Arbeitsgrundlage, die für alle Mitarbeiter*innen, egal welchen Glaubens, die Grundhaltung des Unternehmens täglich greifbar macht, soll sie immer mehr einen selbstverständlichen Platz im Arbeitsalltag einnehmen.

Foto Tobias Fink
Tobias Fink – Foto Babette Brandenburg

Tobias Fink, Assistenzteamleitung im Baakenhafen

„Ich war als Mitarbeiter dazu eingeladen, an der Entwicklung der Selbstverpflichtung mitzuarbeiten. Für mich ist dabei besonders die Reflexionsmöglichkeit, die Gelegenheit, das eigene Handeln zu hinterfragen, wichtig. Die Selbstverpflichtung fordert dazu auf, Kritik und auch eigene Probleme zu äußern – das finde ich als Mitarbeiter wichtig. Auch wenn für mich aufgrund meines christlichen Glaubens vieles selbstverständlich ist, ist die Selbstverpflichtung ein wertvolles Hilfsmittel, auch bei meinem Rollenwechsel zur Assistenzteamleitung.“

Foto John Senf
John Senf – Foto Babette Brandenburg

John Senf, Fachbereichsleiter Qualitätsmanagement

„Die Selbstverpflichtung bietet Gelegenheit, sowohl sich selbst zu hinterfragen als auch miteinander im Team und mit den Führungskräften über die eigenen Ansprüche in der Assistenz in die Diskussion zu gehen. Gleichzeitig ist sie eine Aufforderung an die Mitarbeitenden: Sie sollen eine offene Arbeitsatmosphäre unterstützen und aktiv für Verbesserungen eintreten, also auch Kritik üben, wenn sie angebracht ist. Bereits die Diskussionen in der Arbeitsgruppe sowie die Rückmeldungen nach einer unternehmensweiten Feedback-Aktion zum Entwurf der Selbstver­pflichtung haben deutlich gemacht, dass der Wunsch nach kritischer Auseinander­setzung mit der Alltagsarbeit groß ist.“