„Wir sind ein bunter Haufen, weil Gott die Vielfalt liebt“

Schüler*innen im Raum der Stille

An der Bugenhagenschule in Alsterdorf werden Glaube, Haltung und diakonischer Dialog mit Leben gefüllt. Hier lernen Schülerinnen mit und ohne Förderbedarf. Dank ganzheitlichem Unterricht, der die Persönlichkeiten der Schülerinnen in den Mittelpunkt stellt, Lerngruppen, die so viel Vielfalt wie möglich abbilden, und fantasievoller spiritueller Angebote entsteht eine offene und achtsame Atmosphäre. Fehler dürfen hier alle machen.

Das Ziel ist, alle in die Gemeinschaft einzubeziehen: 960 Kinder und Jugendliche, davon 240 mit sonderpädagogischem Förderbedarf. 120 von ihnen lernen in inklusiven Lerngruppen. Von 24 Mädchen und Jungen haben hier vier ein Handicap. Die anderen 120 besuchen die Schule für Kinder mit besonderem Förderbedarf (SfKmbF), deren Lerngruppen nur 11 bis 13 Schüler*innen umfassen. In der gymnasialen Oberstufe büffeln derzeit insgesamt sechs Teenager gemeinsam mit 114 ohne Einschränkung. In Grund- und Mittelstufe wird in jahrgangsübergreifenden Gruppen gelernt.

Foto Eva Maria Kopte
Eva Maria Kopte – Foto: Axel Nordmeier

„Wir wollen so viel Vielfalt schaffen wie möglich“

„Wir wollen so viel Vielfalt schaffen wie möglich, damit keiner denkt, er ist normal, sondern jeder weiß, er ist besonders. Wir glauben, dass jeder Mensch von Gott geschaffen und damit wertvoll ist und die Stärken und Schwächen hat, die er haben darf“, fasst Eva-Maria Kopte die Grundhaltung der Schule zusammen. Die Voraussetzung dafür, die anderen mit ihren Fehlern anzunehmen, besteht darin, sich selbst in der eigenen Begrenztheit zu akzeptieren – der Schritt vom „Ich zum Du“. Kopte ist begeistert, mit welchem Selbstverständnis etwa Teenager im Unterricht sagen, dass sie etwas nicht können, anderen aber zugestehen, dass sie es können. „Das schenkt viel Freiheit.“

Foto Patricia von Massenbach-Wahl
Patricia von Massenbach-Wahl – Foto: Axel Nordmeier

Die Diakonin Patricia von Massenbach-Wahl leitet den religionspädagogischen Bereich der Grundschule und der SfKmbF. In ihrem Unterricht ermutigt sie die Kinder und Jugendlichen zu Selbstwertschätzung und -reflexion. Die Lerngruppen sind bunt gemischt: Es gibt Schülerinnen ohne christliche Sozialisierung und immer mehr Kinder muslimischen Glaubens. „An Gottesdiensten und Klassenandachten teilzunehmen ist für Schülerinnen Pflicht, wir erwarten aber nicht, dass alle das Glei­che glauben. Das Gottesbild ist das eines liebenden Gottes, an den man sich immer mit all seinen Sorgen wenden kann“, so Patricia von Massenbach-Wahl. Eine gläubige Muslimin beispielsweise hat ihre Tochter wegen der Wertevermittlung an der Schule angemeldet, vor allem wegen des respektvollen Miteinanders, wie sie gegenüber der Diakonin äußerte.

Zwei bis drei Pädagoginnen bilden das Lerngruppenteam. Da jedes Kind einen individuellen Lernplan bearbeitet, „gibt es nicht dieses Vergleichen“, so Massen-bach-Wahl. An der staatlich anerkannten Privatschule werden Zensuren erst ab der achten Klasse vergeben, wenn Prüfungen anstehen. Die Haltung, jeden so anzuneh­men, wie er ist, fordern die Lehrkräfte ein. In Streitgesprächen ringen Schülerinnen und Lehrende im Guten miteinander“, schildert Patricia von Massenbach-Wahl. Manchmal stößt die Schulleitung auch an ihre Grenzen: Vor Kurzem konnte ein Junge nicht so begleitet werden, wie die Pädagog*innen gehofft hatten. Eva-Maria Kopte war froh, dass er und seine Eltern am Werner Otto Institut auf dem Stiftungsge­lände die nötige Unterstützung fanden. So wurden alle Beteiligten nicht allein gelassen.

Gemeinsam gestalten die Schüler*innen ihre Ideen zum Thema Glauben im Raum der Stille
Gemeinsam gestalten die Schüler*innen ihre Ideen zum Thema Glauben – Fotos: Axel Nordmeier

Schülerinnen mit und ohne Einschränkung gehen selbstverständlich und altersgemäß miteinander um. In der Grundschule sind die Kinder meist sehr eng miteinander verbunden. Von Anfang an lernen sie, dass nicht jeder die gleichen Bedürfnisse hat. Wenn jemand eine Auszeit braucht, weil er sich zum Beispiel beruhigen muss, dann bekommt er diese. An der Bugenhagenschule lernen die Schülerinnen, andere „auszuhalten“, auch wenn es anstrengend wird. Jugendliche thematisieren ihre Individualität dann häufig selbst. Wie der autistische Junge, der in der Mittelstufe einen Vortrag darüber gehalten hat, was ihn besonders macht.

Der Raum der Stille als Ort spiritueller Erfahrung für die Schüler*innen – Eva-Maria Kopte und Patricia von Massenbach-Wahl sind sich einig – es gibt den Geist der Bugi.

Es gibt ihn, den Bugi-Geist: „Aus diakonischer Sicht geht es darum, den anderen wirklich zu sehen, wie im Lied ‚Ich schau Dich an, ich schau Dich an, so wie Du eben bist‘“, erklärt Patricia von Massenbach-Wahl. Sie lädt Schüler*innen und Lehrende dazu ein, Kraft aus der Spiritualität zu schöpfen, meist auf bildhafte Weise, etwa mit den „Perlen des Glaubens“. Das ist ein Armband mit Perlen in verschiedenen Farben, Formen und Größen, die für unterschiedliche Lebensfragen stehen. Daran, was eine Schülerin daraus schlussfolgerte, erinnert sie sich besonders gern: „Gott hat uns lieb, wie wir sind.“

Mit allen Sinnen finden Kinder und Jugendliche „vom Ich zum Du zum Wir“: 2017, als die Schule ihren 150. Geburtstag feierte, haben Schülerinnen mit dem Liedermacher Reinhard Horn das Bugenhagenschulen-Lied aufgenommen: „Lernen, Lachen, Leben […] Wir sind ein bunter Haufen, weil Gott die Vielfalt liebt.“ Für eine Ausstellung in der St.-Katharinen-Kirche waren es Grundschülerinnen, die ein Kreuz auf Leinwand gestalteten. „Das war für die Kinder eine wahnsinnig große Wertschätzung, als sie beim Gottesdienst ihr Kreuz oben unter dem Dach in der Nähe des Kirchenkreuzes entdeckt haben“, erinnert sich Patricia von Massenbach-Wahl.

Eva-Maria Koptes Lieblingsmoment? „Morgens, wenn ich zur Schule komme: die Kinderscharen auf ihren E-Rollis, mit Rollatoren, auf Skateboards, auf Fahrrädern – und das alles ist selbstverständlich.“